Einleitung

Was ist eine Emotion?

„Emotionen werden in zielrelevanten Situationen ausgelöst und signalisieren, dass etwas unserer Aufmerksamkeit bedarf. Außerdem beinhalten sie eine subjektive, physiologische und Verhaltenskomponente. Typische Charakteristika sind Instabilität, Intensität, die kurze Dauer und Gerichtetheit“ [1]. In Abgrenzung zu dieser von Barnow zusammenfassenden Definition des Konzepts „Emotion“ lassen sich Affekte als niederschwellige interozeptive sensorische Signalgebung mit Empfindungen von Annehmlichkeit/Unannehmlichkeit und Aktivierung/Deaktivierung einordnen [2]. Erst nach Abgleich mit dem eigenen konzeptuellen Wissen, welches auf der bisherigen kulturellen und biografischen Erfahrung basiert, erhält der Affekt eine Bedeutung [3]. Affekt und Bedeutung bilden letztlich das emotionale Erleben. Emotionen können weiterhin von Stimmungen abgegrenzt werden. Hierbei handelt es sich um diffuse und unfokussierte Zustände, die, im Gegensatz zu Emotionen, langfristiger sind und sich langsam verändern [4].

Was ist emotionale Kompetenz?

Emotionale Kompetenz (EK) umfasst „die Fähigkeit zum Erkennen und Ausdrücken von Emotionen sowie zu einem angemessenen Umgang mit Gefühlen“ [5]. Vor dem Hintergrund dieser Definition kann emotionale Kompetenz als die Fertigkeit einer Person verstanden werden, Emotionen bei sich selbst bzw. anderen zu erkennen, eigene Emotionen zu regulieren und über eine adaptive emotionale Expressivität zu verfügen [5]. Berking (2015) differenziert folgende Subkompetenzen: die Kompetenz, die eigenen Emotionen bewusst wahrzunehmen, sie klar zu erkennen/benennen, die Ursachen der aktuell erlebten Emotion zu verstehen, sich selbst in belastenden Situationen effektiv zu unterstützen, das emotionale Erleben gezielt positiv verändern zu können, negativ erlebte Emotionen zu akzeptieren, gegebenenfalls auszuhalten und sich emotional belastenden Situationen auszusetzen, um persönliche Ziele zu erreichen [6].

Emotionen und chronifizierter Schmerz

Das emotionale Erleben ist Teil der Schmerzdefinition [7]. Negativ erlebte Emotionen sind mit Schmerzerleben assoziiert [8]. Vor dem Hintergrund überlappender neuronaler Aktivierungsmuster im Gehirn [8, 9] und emotionsabhängiger muskulärer Anspannung im Körper [10] ist diese Kopplung erklärbar. Biopsychosoziale Betrachtungen lang andauernder/wiederkehrender und beeinträchtigender Schmerzen führten zu der Erkenntnis, dass Emotionen einen wesentlichen Bestandteil in der Konzeptualisierung, Bewertung und Behandlung chronifizierter Schmerzen darstellen [11]. Dabei sind insbesondere breiter aufgestellte Behandlungen zur Verarbeitung von Emotionen, beispielsweise „eye movement desensitization and reprocessing“ (EMDR; [12]) und „emotional awareness and expression therapy“ (EAET; [13, 14]), vielversprechende Optionen zur Reduktion chronischer Schmerzen [15].

Veränderung von Emotionen und emotionalen Kompetenzen während der Schmerztherapie

In der Literatur finden sich bisher wenige Untersuchungen, die konkret die emotionalen Veränderungen während einer interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie (IMST) erfassen. Das Verständnis der IMST beruht hierbei auf der durch die Ad-hoc-Kommission bestimmten Definition [16].

Einige Studien konnten eine Reduktion von Angst und der im weiteren Sinne emotionsassoziierten Depressivität während einer tagesklinischen IMST nachweisen [17, 18]. Genutzt wurden hierzu die Fragebögen, die zum damaligen Zeitpunkt im deutschen Schmerzfragebogen verankert waren: die Allgemeine Depressionsskala und die Hospital Anxiety and Depression Scale [19]. Pardos-Gascón et al. [20] konzentrierten ihre Überblicksarbeit auf rein achtsamkeitsbasierte oder kognitiv-behaviorale Interventionsstudien und extrahierten die Reduktion von Angst, Depressivität und dem emotionsassoziierten Stresserleben als häufiges Behandlungsergebnis.

Studien, die die potenziellen Veränderungen konkreter positiv und negativ erlebter Emotionen, z. B. Ärger oder positiver Bewältigungsemotionen, während einer IMST in den Mittelpunkt stellen und mit emotionsspezifischen Instrumenten erheben, finden sich kaum. Bewältigungsemotionen umfassen hierbei Emotionen wie Dankbarkeit, Mut und Zuversicht [21] und dienen der konstruktiven Bewältigung alltäglicher und nicht alltäglicher Herausforderungen.

Auch Verlaufsmessungen der mit den Emotionen in Verbindung stehenden emotionalen Kompetenz fehlen bisher.

Die vorliegende Untersuchung möchte nun genau auf diesen Punkt fokussieren: Verändern sich das emotionale Erleben und die Häufigkeit bestimmter Emotionen bei Menschen mit chronifizierten Schmerzen während einer tagesklinischen IMST? Und verändert sich die wahrgenommene emotionale Kompetenz während der IMST?

Material und Methoden

Stichprobe

Es wurden 184 Patient*innen einer tagesklinischen interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie (IMST) des Universitätsschmerzzentrums Dresden inkludiert (siehe Stichprobe in Körner et al. [22]). Es handelte sich dabei um erwachsene Menschen mit chronifizierten, nichttumorbedingten Schmerzen. Die Auswahl fand anhand IMST-spezifischer Einschlusskriterien statt [16, 23].

Setting

Das Behandlungskonzept der Schmerztagesklinik und der Gruppenpsychotherapie im Allgemeinen kann bei Schütze et al. [17] nachvollzogen werden. Im Speziellen sei an dieser Stelle der emotionsfokussierte Anteil der Schmerzpsychotherapie umrissen. Durch tägliche Selbstbeobachtungsübungen in den Gruppenpsychotherapien lag die Aufmerksamkeit unter anderem auf dem emotionalen Erleben und den dahinterliegenden Bedürfnissen. Emotionsfokussierte Fragetechniken unterstützten die Exploration. Psychoedukativ wurden die Teilnehmenden der Gruppenpsychotherapie angeleitet, den Einfluss negativ erlebter Emotionen in ein Gesamtschmerzmodell einzuordnen. Der Einsatz von bildhafter Sprache, Bildimpulsen, Geschichten und Metaphern diente der Annäherung an emotionale Inhalte. Die Anwendung imaginativer Techniken verhalf zur Stimulation relevanter Emotionen. Ziel der Aktivierung bedeutsamer Emotionen war, diese annehmen zu lernen, die dahinterstehenden Bedürfnisse zu verstehen und einen adaptiven Umgang zu entwickeln.

Instrumente

  1. A.

    Fragebogen zur emotionsspezifischen Selbsteinschätzung emotionaler Kompetenzen (SEK-ES)

    Die Häufigkeit bestimmter Emotionen und die emotionale Kompetenz wurden mit dem Fragebogen zur emotionsspezifischen Selbsteinschätzung emotionaler Kompetenzen (SEK-ES [21]) ermittelt. Die konzeptuelle Ausgangsbasis des Fragebogens bildete das kompetenzorientierte Modell [6]. In Teil A des SEK-ES wurde zunächst das Auftreten diverser Emotionen und Stimmungen innerhalb der vergangenen Woche erfasst. Neben Stress, Angst, Ärger, Traurigkeit, Depressivität, Schuld, Scham und Ekel wurde außerdem die Häufigkeit von Bewältigungsemotionen erfragt. Laut Auswertungsalgorithmus [21] handelt es sich bei den Bewältigungsemotionen um eine Subkategorie der positiv erlebten Emotionen. Bewältigungsemotionen umfassen Emotionen wie Dankbarkeit, Mut, Zuversicht oder Stolz. Die übergeordnete Kategorie der positiven Emotionen beinhaltet zusätzlich zu den Bewältigungsemotionen noch Emotionen wie Zufriedenheit, Freude oder Liebe. Schließlich wurden in Teil B einzelne emotionale Reaktionen mit je zwölf Items genauer untersucht, falls die jeweilige emotionale Reaktion in der letzten Woche auftrat. Folgende emotionale Qualitäten wurden dabei erfragt: Stress/Anspannung, Angst, Ärger, Traurigkeit, depressive Stimmung, weitere belastende Gefühle, positive Gefühle (SEK-ES [21]). Die Häufigkeiten der Emotionen (Teil A) und der konstruktive Umgang mit spezifischen Emotionen (Teil B) wurden anhand eines durch die Testautor*innen festgelegten Algorithmus berechnet [21]. Es handelte sich hierbei um Mittelwerte.

  2. B.

    Emotionale-Kompetenz-Fragebogen als Selbstbeurteilungsversion (EKF)

    Die emotionale Kompetenz wurde weiterhin mittels der Selbstbeurteilungsskalen des Emotionale-Kompetenz-Fragebogens (EKF [5]) erfasst. Die Bearbeitungszeit des EKF dauerte zehn bis zwanzig Minuten. Der Fragebogen bestand aus vier Hauptskalen: Erkennen eigener Emotionen, Erkennen von Emotionen bei anderen, Regulation und Kontrolle eigener Emotionen und emotionale Expressivität. Für den Selbsteinschätzungsfragebogen lag eine vom Autor zur Verfügung gestellte Normstichprobe (N = 638) vor [5].

Die Besonderheit des SEK-ES lag in der emotionsspezifischen Aufschlüsselung von Häufigkeiten und konstruktivem Umgang. Der EKF hingegen ermöglichte durch die vom Autor vorgegebenen Normwerte einen Abgleich der Ergebnisse mit der Normalbevölkerung (verkörpert durch die Normstichprobe; [5]).

Prozedere

Die Datenerfassung erfolgte zu drei Messzeitpunkten: zu Beginn der tagesklinischen Behandlung (erste Woche, T1), am Ende der vierwöchigen tagesklinischen Behandlung (T2) und zur Auffrischungswoche (14 Wochen nach Therapiebeginn, T3). Die Selbstbeurteilungsinstrumente wurden der standardmäßigen Verlaufsbeurteilung der Schmerztherapie mittels des Deutschen Schmerzfragebogens [19] beigefügt. Von den zu Therapiebeginn ursprünglich 209 rekrutierten Patient*innen waren die Daten für 184 Patient*innen zu allen drei Messzeitpunkten vollständig. Die Datenerfassung erfolgte von Januar 2018 bis Juni 2019.

Statistische Auswertung

Die Rohwerte wurden durch den Abgleich mit der Normstichprobe des EKF in Standardnormwerte umgewandelt. Für jede untersuchte Person konnte anhand des Standardnormwerts das Ausmaß der emotionalen Kompetenz im Verhältnis zur Normalbevölkerung festgestellt werden (90–110 durchschnittlich, < 90 unterdurchschnittlich, > 110 überdurchschnittlich [5]).

Für die Daten des SEK-ES und des EKF wurden Mittelwerte und Standardabweichungen für alle drei Messzeitpunkte erfasst. Nach Überprüfung der statistischen Voraussetzungen erfolgte der inferenzstatistische Vergleich intraindividueller Ergebnisse über die drei Messzeitpunkte hinweg mittels des nonparametrischen Friedman-Tests. Effekte wurden mittels der Effektstärke r quantifiziert.

Zum verbesserten Verständnis der Einflussstärke der emotionalen Kompetenz (Prädiktor) auf die Häufigkeit positiver und negativer Emotionen (Kriterium) zum Therapieende (T3) wurde retrospektiv eine einfache lineare Regression durchgeführt. Da bei der Variable Häufigkeit negativer Emotionen im Breusch-Pagan-Test Heteroskedastizität nachgewiesen wurde, erfolgte eine zusätzliche Absicherung des Regressionsmodells mittels Bootstrapping. Zur Bemessung der Effektgröße diente der Determinationskoeffizient R2.

Ergebnisse

Veränderung der Häufigkeiten von Emotionen

Bezüglich der erlebten Häufigkeit positiver und negativer Emotionen fielen deutliche Veränderungen auf. So berichteten die untersuchten Personen zu T3 entscheidend häufiger positive Emotionen als zu T1 (T1/T3: z = −5,28; p < 0,001; r = 0,40, Tab. 1 und 2). Zudem wurde deutlich, dass die untersuchten Personen statistisch signifikant weniger negative Emotionen im Verlauf schilderten (Tab. 1 und 2). Im Gegensatz zu den positiven Emotionen, bei denen die größte Veränderung zu T3 erreicht war, zeigten sich bei der erlebten Häufigkeit negativer Emotionen bereits zu T2 die größten Effekte (T2/T1: z = 5,17; p < 0,001; r = 0,39, Tab. 1 und 2).

Tab. 1 Deskriptive Statistik der Sub- und Gesamtskalen des SEK-ES und des EKF (T1; T2; T3)
Tab. 2 Friedman-Test und Post-hoc-Tests nach Dunn-Bonferroni zur Erfassung signifikanter Veränderung im Rahmen der Messwiederholung (T1; T2; T3) der Emotionshäufigkeit und der emotionalen Kompetenz

Die größte Veränderung wurde beim Erleben von Ärger (T2/T1: z = 6,91; p < 0,001; r = 0,52, Tab. 2; Abb. 1) sichtbar. Die untersuchten Personen hatten zum Therapieende bedeutend seltener Ärger. Eine mittelgroße Reduktion konnte weiterhin für die Häufigkeit des Stresserlebens nachgewiesen werden (T2/T1: z = 6,00; p < 0,001; r = 0,45). Bewältigungsemotionen wurden im mittelstarken Ausmaß häufiger berichtet (T1/T3: z = −5,52; r = 0,42; Tab. 2; Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Effektstärke im Verlauf der Therapie zur Illustration der signifikant veränderten Häufigkeitsangaben konkreter Emotionen (SEK-ES). SEK-ES Fragebogen zur emotionsspezifischen Selbsteinschätzung emotionaler Kompetenzen, T1 Therapiebeginn, T2 Therapieende, T3 Auffrischungswoche, 14 Wochen nach Therapiebeginn, r Effektstärkemaß: r> 0,10 kleiner, r> 0,30 mittlerer, r> 0,50 starker Effekt [24]. aFür eine erleichterte Interpretierbarkeit stehen im Diagramm positive Effektstärken für eine Zunahme im Verlauf der Therapie und negative Effektstärken für eine Reduktion im Verlauf der Therapie

Auch hinsichtlich des Angsterlebens (SEK-ES: T3/T1: z = 3,95; p < 0,001; r = 0,30) und der Häufigkeit von Traurigkeit (T3/T1: z = 4,08; p < 0,001; r = 0,31) konnte eine mittelstarke Verringerung zu T3 festgestellt werden (Tab. 1 und 2; Abb. 1).

Zudem war eine kleine Verringerung der depressiven Stimmung zu T2 feststellbar (T2/T1: z = 3,68; p = 0,001; r = 0,28; Tab. 2).

Das leicht reduzierte Schamerleben war in den vergleichenden Post-hoc-Tests nicht mehr statistisch gegen den Zufall abgesichert (T3/T1: z = 2,29; r= 0,17; p = 0,067; Tab. 1 und 2). Für die Emotionen Ekel (χ2 (2) = 4,99; p= 0,082) und Schuld (χ2 (2) = 7,09; p= 0,026) waren bei einem α von 2,5 % keine statistisch signifikanten Veränderungen nachweisbar (Tab. 1 und 2).

Veränderung der emotionalen Kompetenz

Auf Gesamt- und Subskalenebene blieb die Selbsteinschätzung mittels EKF konstant (z. B. Gesamtskala des EKF: MT1 = 99,58; SDT1 = 7,92; MT2 = 99,30; SDT2 = 7,78; MT3 = 99,65, SDT3 = 7,99; χ2EKF_gesamt (2) = 0,09; p= 0,956; Tab. 1 und 2). Zu allen drei Messzeitpunkten erlebten sich die Befragten als durchschnittlich emotional kompetent im Vergleich zur Normstichprobe. Auch im SEK-ES-Fragebogen waren keine Veränderungen im Hinblick auf den selbst beurteilten generellen und spezifischen konstruktiven Umgang mit Emotionen eruierbar (z. B. Gesamtskala des SEK_ES χ2konstruktiver_Umgang (2) = 2,63; p= 0,269; Tab. 1 und 2). Einzige Ausnahme bildete die selbst eingeschätzte Kompetenz zum konstruktiven Umgang mit positiven Emotionen. Diese war zum Therapieende zunächst in kleinem statistisch nicht signifikantem Ausmaß weniger, nahm bis zur Auffrischungswoche jedoch mittelstark zu (T2/T1: z = 1,41; p= 0,476; r = 0,12; T2/T3: z = −4,44; p < 0,001; r = 0,38).

Vorhersage der Häufigkeit von Emotionen durch emotionale Kompetenz

46,8 % der Varianz der wahrgenommenen Häufigkeit positiver Emotionen und 39 % der Varianz der berichteten Häufigkeit negativer Emotionen konnte durch den konstruktiven und kompetenten Umgang mit Emotionen (SEK-ES) erklärt werden (Tab. 3).

Tab. 3 Einfache lineare Regression der Häufigkeit positiver und negativer Emotionen (SEK-ES, Kriterium) mittels der Kompetenzen im konstruktiven Umgang mit Emotionen (SEK-ES, Prädiktor)a

Diskussion

Die vorliegende Studie konnte klinisch relevante Veränderungen der von den Patient*innen berichteten Häufigkeiten positiv und negativ erlebter Emotionen während der tagesklinischen IMST nachweisen. Positive Emotionen wurden nach der Therapie häufiger und negative Emotionen seltener berichtet. In Anbetracht der Bedeutsamkeit von Emotionen für das Schmerzerleben [8] kann dieser Befund als potenzieller Erfolgsmarker der IMST eingeordnet werden. Vorangegangene Untersuchungen zu Veränderungen von Angst und Depressivität während einer IMST wurden in dieser Studie repliziert [17, 18]. Auch in der vorliegenden Forschungsarbeit konnte diesbezüglich eine Reduktion eruiert werden. Im Besonderen imponierte die starke Reduktion der Emotion Ärger zum Therapieende. Dies lässt den Schluss zu, dass sich der zugrunde liegende Umgang mit Ärger während der IMST änderte. Jüngste Forschung unterstreicht die besondere Bedeutung von Ärger und Ärgermanagement bei chronifiziertem Schmerz [25,26,27,28], so beispielsweise bei Migräne [29]. Überblicksarbeiten definieren kleine bis mittlere Zusammenhänge zwischen ärgerassoziierten Variablen und Schmerzintensität bzw. schmerzassoziierten Beeinträchtigungen [26]. Weiterhin kam es in der vorliegenden Verlaufsmessung zu einer Zunahme von Bewältigungsemotionen. Diese Unterkategorie der positiven Emotionen umfasst Emotionen wie Mut, Zuversicht oder Dankbarkeit und unterstützt Personen im konstruktiven Meistern von situativen Herausforderungen. Frühere Forschung konnte bereits nachweisen, dass positive Emotionen im Allgemeinen und Optimismus im Konkreten bei Menschen mit chronischen muskuloskeletalen Schmerzen zur Ausdauer bei der Erledigung von Aufgaben, einem (schmerz‑)flexiblen Zielmanagement und einem verringerten Vermeidungsverhalten beitragen [30]. Mit der vorliegenden Studie vergleichbare bewältigungsemotions- und ärgerspezifische Verlaufsuntersuchungen bei Menschen mit chronifizierten Schmerzen im interdisziplinären tagesklinischen Setting liegen bisher nicht vor.

Das emotionale Kompetenzerleben der Patient*innen blieb während der Therapie – im Gegensatz zur erlebten Häufigkeit bestimmter Emotionen – konstant. Vor dem Hintergrund der emotionsfokussierten psychotherapeutischen Techniken im Rahmen der Gruppenpsychotherapie irritiert zunächst die fehlende Verbesserung der selbst wahrgenommenen emotionalen Kompetenzen, z. B. hinsichtlich des Erkennens von Emotionen. Eine Erklärung könnte einerseits sein, dass die Interventionen die Einschätzung emotionaler Fertigkeiten und das emotionale Selbstwirksamkeitserleben der Patient*innen bisher unzureichend adressierten. Andererseits erlebten sich die untersuchten Personen im Vergleich zur Normstichprobe/Normalbevölkerung bereits von Therapiebeginn an als durchschnittlich emotional kompetent, sodass es nachvollziehbar ist, wenn mögliche Verbesserungen des eigenen kompetenten Umgangs für die Befragten wenig salient waren. Dennoch konnte in der Untersuchung ein hoher prädiktiver Wert emotionaler Kompetenzen für die Emotionshäufigkeit nachgewiesen werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sich angesichts der starken Veränderungen der Häufigkeiten positiver und negativer Emotionen die EK implizit verändert hat, ohne dass die Patient*innen dies als Kompetenzverbesserung beurteilten. Offen bleibt, inwiefern das Selbstbeurteilungsinstrument ausreichend geeignet war einen möglichen Kompetenzzuwachs zu detektieren. Interviews, Videoanalysen oder physiologische Parameter sollten für zukünftige Forschung als alternative Messverfahren berücksichtigt werden. Gleichzeitig lohnen sich weiterführende Überlegungen, welche konkreten Ergebniskriterien die schmerz-/alltagsrelevanten Auswirkungen einer potenziell veränderten emotionalen Kompetenz bestmöglich abbilden.

Limitierend anzumerken ist, dass das deskriptive Format der vorliegenden Studie die Generalisierbarkeit der Ergebnisse einschränkt. Aufgrund der fehlenden Kontrollgruppe kann keine kausale Verbindung zwischen IMST und der Verbesserung des emotionalen Erlebens hergestellt werden. Es wird lediglich eine Veränderung während der IMST beschreibend festgehalten. Da Emotionen per se instabil sind [1], können die emotionalen Veränderungen auch unabhängig von möglichen Therapieeffekten entstanden sein. Dies gilt es nun weiterführend zu überprüfen. Auch die unzureichende scharfe Abgrenzung der Konzepte Gefühle, Emotion, Stimmung im Erhebungsinstrument SEK-ES kann als kritischer Aspekt gewertet werden: Eine depressive Stimmung beispielsweise ist, im engeren Sinne, keine Emotion. Dies sollte bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden. Weiterhin kritisch anzumerken ist die ungleich differenzierte Erfassung positiv und negativ konnotierter Emotionen: Während im SEK-ES zu den negativ assoziierten Emotionen emotionsspezifische Aussagen getroffen werden können, können im Bereich der positiv aufgeladenen Emotionen lediglich zur Subkategorie der Bewältigungsemotionen differenzierte Aussagen getätigt werden.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die vorliegende explorative Verlaufsmessung eine deutliche Zunahme positiv erlebter Emotionen und eine Abnahme negativ erlebter Emotionen während der IMST nachweisen konnte. Trotz des unveränderten emotionalen Kompetenzempfindens legt das klinisch relevant veränderte emotionale Erleben der Patient*innen die Schlussfolgerung nahe, dass während der IMST implizit und explizit emotionsrelevante Veränderungen stattfinden. Spannend bleibt, welche Aspekte der Therapie genau potenziell zum veränderten emotionalen Erleben beitragen. Weitere Untersuchungen zum verbesserten Verständnis darunterliegender Mechanismen bieten sich an. Interessant ist hierbei, ob Subgruppen sich hinsichtlich ihrer EK und ihres emotionalen Erlebens unterschiedlich stark verändern oder von spezifischen EK-Interventionen unterschiedlich intensiv profitieren. Weitere vertiefende Forschungsperspektiven könnten zudem sein, die eruierte Veränderung des emotionalen Erlebens während der IMST auf geschlechterspezifische oder altersbezogene Unterschiede differenzierter zu untersuchen. Auch sollten die gefundenen Evidenzen hinsichtlich möglicher Interaktionen mit anderen schmerzrelevanten Aspekten, wie Schmerzakzeptanz und psychischer Flexibilität, genauer beleuchtet werden.

Generell empfiehlt sich für zukünftige Behandlungskonzeptionen und -evaluierungen, die Aufmerksamkeit mehr auf Veränderungen des emotionalen Erlebens und der dahinterstehenden emotionalen Kompetenzen der Patient*innen zu richten. Forschungen, die verstärkt emotionsfokussierende Interventionen in die Schmerztherapie einbinden [13, 14], verzeichneten bereits inkrementelle schmerzassoziierte Verbesserungen. Die in dieser Studie explorierten Evidenzen zum veränderten emotionalen Erleben bieten Anregung für zukünftige innovative Blickwinkel auf das bereits erfolgreiche Therapiekonzept IMST.