Das Thema der 90. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e. V. (DGK) in Mannheim 2024 lautet „Schnittstellen der Kardiovaskulären Medizin“, und nach diesem Motto haben wir auch die Beiträge für diese Ausgabe von „Herz“ ausgewählt.

Durch die technischen und medizinischen Fortschritte in der Medizin werden unserer Patientinnen und Patienten immer älter und sind daher oft nicht nur von kardiovaskulären, sondern auch von Erkrankungen anderer Organsysteme betroffen. Diese Komorbiditäten haben einen wichtigen Einfluss auf das Herz, welches über neuroendokrine Aktivierung, Inflammation und Veränderungen des Metabolismus mit anderen Organen „kommuniziert“ (Abb. 1; [1]). Über Dekaden haben sich viele unserer Therapien auf die Blockade der neuroendokrinen Aktivierung beschränkt. Erst in den letzten Jahren wird zunehmend klar, dass auch gezielte Interventionen im Bereich der Inflammation und des Metabolismus großes Potenzial für eine weitere Verbesserung von Symptomen, Morbidität und Prognose bieten.

Abb. 1
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Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Systemerkrankungen, bei denen Herz und Gefäße mit anderen Organen über neuroendokrine Aktivierung, Immunprozesse und Metabolismus in Verbindung stehen. Schwerpunkte werden in dieser Ausgabe von HERZ auf chronische Nierenerkrankungen, Adipositas und Diabetes, Tumoren und Chemotherapie, klonale Hämatopoese und Umwelteinflüsse wie Lärm, Luftverschmutzung und Klimaveränderungen gesetzt

Viele dieser Therapien wirken daher an den Schnittstellen des Herzens mit anderen Organen (Abb. 1), womit unser diagnostisches und therapeutisches Denken und Handeln wieder systemischer und interdisziplinärer geworden ist. Gleichzeitig erfordert die Entwicklung neuer Therapieformen die Kenntnis zugrunde liegender Krankheitsmechanismen. Doch gerade die Translation mechanistischer Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in die Klinik ist eine große Herausforderung, an der viele Therapieideen schon gescheitert sind. Es ist daher sehr erfreulich zu verzeichnen, dass in den letzten Jahren viele neue Medikamente in klinischen Studien getestet werden und erste Erfolge erzielen. Auch ganz neue Therapieverfahren wie die Gentherapie, microRNAs und aus humanen Stammzellen generiertes Herzmuskelgewebe könnten in den nächsten Jahren noch wichtige Durchbrüche erzielen.

Diese Ausgabe beleuchtet wichtige Schnittstellen des Herzens mit anderen Organen oder Systemen

In dieser Ausgabe von „Herz“ werden daher wichtige Schnittstellen des Herzens mit anderen Organen oder Systemen beleuchtet (Abb. 1). Die wohl häufigste Komorbidität der Herzinsuffizienz ist die chronische Niereninsuffizienz, deren Vorliegen die Prognose von Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen und insbesondere mit Herzinsuffizienz erheblich einschränkt. Sonja Vondenhoff, Stefan J. Schunk und Heidi Noels aus Aachen beleuchten die wichtigsten epidemiologischen und klinischen Zusammenhänge, aber auch die zugrunde liegenden Mechanismen dieser Interaktionen. Diese beinhalten u. a. Diabetes und Anämie als gemeinsame Komorbiditäten, gehen weit über neuroendokrine Aktivierung hinaus und umfassen u. a. den Einfluss von urämischen Toxinen, von Inflammation und von oxidativem Stress auf die Gefäße und das Herz an sich.

Neben den klassischen Risikofaktoren wie Rauchen, Hypercholesterinämie, Diabetes und Bluthochdruck gewinnt in den letzten Jahren die klonale Hämatopoese mit undefiniertem Potenzial (CHIP) als neuer blutbasierter Risikofaktor zunehmend an Bedeutung, wie Stefanie Dimmeler und Andreas Zeiher aus Frankfurt in ihrem Artikel ausführen. Klone mit mutierten Blutzellen bergen zwar nur ein geringes Risiko, eine Leukämie zu verursachen, sind aber mit einem deutlich erhöhten Risiko für vaskuläre Ereignisse, aber auch für die Entwicklung einer Herzinsuffizienz assoziiert. Auch hier spielen Entzündungsprozesse eine wichtige Rolle, und derzeit laufende experimentelle und klinische Studien werden zeigen, ob gezielte Interventionen im Bereich der Inflammation CHIP-assoziierte Pathologien abmildern können.

Schön länger ist bekannt, dass Chemotherapien das Herz durch ihre zelltoxischen Effekte direkt schädigen können. Aber erst in den letzten Jahren hat sich zunehmend gezeigt, dass durch das Vorliegen von Tumoren auch die Entwicklung einer Herzinsuffizienz und umgekehrt bei Vorliegen einer Herzinsuffizienz die Entwicklung von Tumoren begünstigt werden können. Auch hierbei spielen Inflammation, neuroendokrine Aktivierung und metabolische Veränderungen eine wichtige Rolle, wie Lars Michel und Tienush Rassaf aus Essen in ihrer Übersicht schildern. Durch Verbesserung der Tumortherapien in den letzten Jahrzehnten überleben mehr Patienten ihre Tumorerkrankung, doch haben sie gleichzeitig ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Dies verdeutlicht, dass das Feld der Kardioonkologie in den kommenden Jahren von wachsender Bedeutung sein wird. „Hierfür sind neue wissenschaftliche, strukturelle, klinische und edukative Schnittstellen zwischen Kardiologie und Onkologie als Grundlage zwingend erforderlich“, urteilen Michel und Rassaf in ihrem Artikel.

Adipositas ist ein wichtiger Risikofaktor für die Entwicklung von Diabetes, vaskulären Erkrankungen und Herzinsuffizienz, insbesondere mit erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF [2]). Die erste prognostisch wirksame Therapie bei Patienten mit HFpEF ist eine metabolische – nämlich die SGLT2(„sodium-glucose transporter 2“)-Inhibitoren, die insbesondere Hospitalisierung für Herzinsuffizienz reduzieren und nephroprotektiv sind, und dies unabhängig vom Vorliegen eines Diabetes [3]. Derzeit ist immer noch nicht hinreichend geklärt, welche Wirkmechanismen dieser umfassenden Organprotektion zugrunde liegen, doch wird u. a. auch eine Verbesserung von Zellreparaturmechanismen, der sog. Autophagie, diskutiert. Neuere Daten zeigen, dass die Reduktion des Übergewichts durch GLP(„glucagon-like peptide“)-1-Agonisten wie Semaglutid eine Verbesserung der Symptomatik bei Patienten mit HFpEF bewirken kann [4]. In ihrem Artikel fokussieren Joel Guerra, Leonardo Matta und Alexander Bartelt aus München auf den Einfluss von Zellreparaturmechanismen auf die Proteinhomöostase (Proteostase) bei Adipositas und kardiovaskulären Erkrankungen. Zellen müssen ständig ihre Proteine erneuern und verfügen daher über ein gut organisiertes „Müllentsorgungssystem“. Bei Patienten mit Adipositas beeinträchtigen Lipotoxizität (d. h. die Akkumulation von zu vielen Fetten in Zellen), oxidativer Stress und chronische Inflammation dieses gut justierte Entsorgungssystem, sodass beschädigte Proteine in den Zellen verbleiben und so deren Struktur und Funktion beeinträchtigen. Diät und körperliche Aktivität können diese Reparaturmechanismen wieder deutlich verbessern, und derzeit werden medikamentöse Therapien entwickelt, die in die Proteostase regulierend eingreifen.

Eine weitere Schnittstelle, auf die bei der diesjährigen Jahrestagung, aber auch in unserer (kardiologischen) Gesellschaft in den kommenden Jahren stärker fokussiert werden soll, ist die planetare Gesundheit. Der Klimawandel und die urbane Verdichtung haben einen erheblichen Einfluss auf die Gesundheit. Besonders ältere Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben eine herabgesetzte Resilienz gegenüber (extremer) Hitze, während Feinstaub und Lärm zunehmend als wichtige Risikofaktoren für Bluthochdruck und die Entwicklung von Atherosklerose identifiziert wurden. Thomas Münzel, Omar Hahad und Andreas Daiber aus Mainz diskutieren in ihrem Artikel die epidemiologischen Aspekte, die pathophysiologischen Zusammenhänge und die klinischen Konsequenzen von Luftverschmutzung und Lärm. Sie betonen einen „dringenden Bedarf, auf das Gefahrenpotenzial von Luftverschmutzung und Verkehrslärm in den Präventionsrichtlinien der [kardiologischen Gesellschaften] hinzuweisen“ und somit „das Bewusstsein für Umweltrisikofaktoren als bedeutende und insbesondere vermeidbare Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu schärfen“. Wir stehen somit erst am Anfang, neue Konzepte zur Prävention, Adaptation und Ressourcenschonung zu erarbeiten, um auch diese neuen Herausforderungen der planetaren Gesundheit zu meistern.

Ich lade ich Sie nun ein, sich anhand dieser Ausgabe von „Herz“ in die vielschichtigen Aspekte der Schnittstellen der kardiovaskulären Medizin zu vertiefen (Abb. 1) und gleichzeitig bei unserer Jahrestagung in Mannheim ein vielseitiges und interdisziplinäres Programm zu diesen Themen zu genießen.

Christoph Maack